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Kantone wollen Rechtssicherheit bei adaptiven Mobilfunkantennen

Genug vom 5G-Vollzugschaos

Das Vorpreschen der Schweiz mit dem übereilten Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes zahlt sich nicht aus, im Gegenteil. Da zahlreiche technische und rechtliche Fragen des Ausbau-Vollzugs noch nicht gelöst waren und sind, entstand eine heillose Verwirrung. Das Fass zum Überlaufen brachte die Einsicht, dass zahlreiche von überforderten Gemeinden erteilte Bagatellbewilligungen für die neuartigen adaptiven Antennen möglicherweise nicht rechtmässig sind. Den Gemeinden wird jetzt empfohlen, bis Ende September keine solchen Bewilligungen auszustellen.

Für 5G werden erstmals adaptive Antennen eingesetzt. Im Unterschied zu bisherigen Antennen, deren Strahlungsrichtung stets starr bleibt, arbeiten adaptive Antennen mit beweglichen Strahlenbündeln. Während einer 5G-Funkverbindung wird ein solches Strahlenbündel auf das betreffende Smartphone fokussiert. Bei der Datenübertragung können kurzzeitig sehr hohe Strahlungsspitzen entstehen, die den Anlagegrenzwert von 5 V/m weit überschreiten.

Mobilfunkindustrie und Bundesbehörden meinen, dass diese Grenzwertüberschreitungen vertretbar seien, wenn der 6-Minuten-Mittelwert der Sendeleistung, die dem Grenzwert entspricht, eingehalten werde. Auf dieser Bedingung basiert die Vollzugsempfehlung vom 23.02.2021 (1) des Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Diese enthält einen sogenannten „Korrekturfaktor“, der bei der Bewilligung einer Sendeanlage mit adaptiven Antennen anwendbar ist. Dieser bewirkt, dass die Mobilfunkbetreiberinnen im Datenformular eine fiktive Strahlungsleistung deklarieren dürfen. Diese liegt bis zu 10-mal tiefer als die Leistung, welche die Antenne in Wirklichkeit abstrahlt. Das bewirkt, dass der Grenzwert real um das maximal 3,2-fache überschritten werden kann.

Soll das Vorsorgeprinzip wirklich über Bord geworfen werden?

Bisher durfte der 1999 in der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV) nach dem Vorsorgeprinzip festgelegte Anlagegrenzwert auch von den höchsten momentanen Effektivwerten nicht überschritten werden. Seitens des Bundesrates wurde denn auch beteuert, dass er das 2016 und 2018 vom Ständerat gesprochene Nein zu einer Grenzwerterhöhung respektiere. Doch die erwähnte BAFU-Vollzugsempfehlung ignoriert diese Zusicherung. Jetzt soll ein Strahlungsregime mit systematischen kurzzeitigen Grenzwertüberschreitungen plötzlich erlaubt sein. Das ist ein Rückgriff auf das alte „thermische Dogma“, wonach nur eine Gewebeerwärmung zu schädlichen Effekten fähig sei, und es daher nur auf die vom Gewebe absorbierte Strahlungsenergiemenge ankomme, also auf den Mittelwert der Strahlung; die Spitzen seien bedeutungslos.

Dieses Zugeständnis an die Mobilfunkbetreiber ist eine fatale Aufweichung des Gesundheitsschutzes. Denn gesundheitlich bedeutsam können auch Strahlungen sein, die keine Erwärmung bewirken, aber dennoch biologische Effekte haben. Gerade auch momentane Spitzenbelastungen sind es, die bei zahllosen Menschen mit erhöhter Empfindlichkeit unmittelbar Beschwerdesymptome verursachen, dies sogar bei Strahlungsstärken bis weit unterhalb des Anlagegrenzwertes.

Solche „nichtthermisch-biologische“ Auswirkungen sind längst eine gefestigte Erfahrungstatsache. Zahllos sind die Beobachtungen in der Praxis über eine strahlungsbedingte Schwächung des Organismus von Mensch und Tier mit möglicher Krankheitsfolge. Auch wissenschaftlich ist mittlerweile akzeptiert, dass es solche Auswirkungen infolge ganz „normaler“, alltäglicher Strahlung gibt. Eine im April 2021 publizierte Schweizer Übersichtsstudie zu oxidativem Stress infolge elektromagnetischer Felder bestätigt es erneut. Das BAFU hat eine gekürzte deutsche Fassung in Auftrag gegeben und macht sie über seine Webseite zugänglich (2). Gleichzeitig jedoch gibt dasselbe BAFU die oben erwähnte 5G-Vollzugsempfehlung heraus, die – falls sie eingehalten wird – in der Bevölkerung den oxidativen Stress mit seinen gesundheitsschädigenden Folgen sogar noch steigert.

Wie es zum Widerstand gegen 5G kam

Bei der Einführung von 5G in Europa wollten die Schweizer Mobilfunkbetreiber zu den Ersten gehören. Die „Strategie Digitale Schweiz“ vom September 2018 bekräftigte den Willen des Bundesrates, die digitale Transformation zielgerichtet anzugehen. Im dazugehörigen Aktionsplan war die Förderung von 5G festgeschrieben. Anfangs Februar 2019 wurden die neuen 5G-Mobilfunkfrequenzen versteigert. Sofort begannen die Betreiber mit dem 5G-Netzausbau, zunächst vor allem mittels Einsatz von 5G-Software auf bestehenden Sendern mit konventionellen Antennen. Das geschah weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, da dafür keine Bewilligungen nötig waren.

Anders jedoch beim 5G-Netzaufbau mit adaptiven Antennen auf neuen oder bestehenden Sendemasten: Dieser begegnete unerwartet grossem Widerstand auf Bürger-, Gemeinde- und Kantonsebene in der Form von Einsprachen, Sistierung von Baugesuchen und kantonalen Moratorien. Das alles geschah vor dem Hintergrund der 2018 weltweit aufgeflammten Proteste gegen 5G. Wie war es zu jener Protestwelle gekommen?

Durch konkrete Erfahrungen ungezählter Betroffener waren die gesundheitlichen Folgen des 2G-, 3G- und 4G-Mobilfunks, WLAN, funkender SmartMeter und anderer Strahlungsquellen allmählich bekannter geworden. Unabhängige Forscher hatten durch Studien und Appelle diesen Erfahrungen Gewicht verliehen. Entzündet hat sich der globale Widerstand nun an der Aussicht auf einen weiteren Schub gesundheitlicher Gefährdung, aber auch auf drohende gesellschaftliche Umwälzungen infolge der ins Ungeheure gesteigerten drahtlosen Datenübertragungskapazität, wie sie besonders mit dem geplanten Einsatz der höherfrequenten „Millimeterwellen“ für 5G möglich würde.

Die auf stetes Wachstum setzende Mobilfunkindustrie war es gewohnt, die Technologiesprünge von 2G zu 3G zu 4G, welche jeweils um Grössenordnungen erhöhte Datenübertragungsraten brachten, reibungslos durchzusetzen. Doch jetzt stösst sie mit 5G zum ersten Mal auf ernstzunehmenden Widerstand.

Chaos beim Vollzug des 5G-Netzausbaus

Die kantonalen und kommunalen Bau- und Umweltämter sehen sich schon seit über zwei Jahrzehnten mit der Opposition von Antennenanwohnern konfrontiert. Die Kantone wirkten bisher mehrheitlich als verlängerter Arm des Bundes zur Durchsetzung des Mobilfunknetzausbaus gegen alle Widerstände Betroffener. An dieser Haltung wird nun im Zusammenhang mit 5G kräftig gerüttelt. Verunsicherung herrscht bei Kantonen und Gemeinden.

Vor allem fehlt eine fachlich unbestrittene, praktikable und international anerkannte Messmethode für die Abnahmemessungen bei adaptiven Antennen zur Kontrolle, ob diese den Anlagegrenzwert einhalten. Denn die vom Eidg. Institut für Metrologie (METAS) publizierte Messmethode wird von Fachleuten kontrovers beurteilt. Bezeichnenderweise verweigern Kantone eine Einsicht in die Messberichte von den Abnahmemessungen durchwegs. In einem Fall wurden vor der Aushändigung des Messberichtes die wesentlichen Zahlen und Berechnungen geschwärzt. Transparenz wäre anders.

Dazu kommen begründete Zweifel, ob das den Betreibern vorgeschriebene Qualitätssicherungssystem – auf das die Kantone übrigens keinen direkten Zugriff haben – überhaupt  in der Lage ist, die Einhaltung des Grenzwertes durch den Betrieb adaptiver Antennen korrekt zu überwachen.

Ein Kritikpunkt sind zudem die in Antennen-Baugesuchen einer Netzbetreiberin deklarierten, unmöglich tiefen Sendeleistungen adaptiver Antennen. Schon 2019 wurden diese Sendeleistungen derart tief deklariert, dass 5G damit gar nicht richtig betrieben werden kann. Viele wunderten sich darüber. War sich die Gesuchstellerin damals schon so sicher, dass sie die Festlegung eines „Korrekturfaktors“, wie er jetzt in der BAFU-Vollzugsempfehlung vom 23.02.2021 tatsächlich enthalten ist, später noch durchsetzen können würde? Überdies wirken adaptive 5G-Antennen bei tiefer Auslastung als „Freiluftheizung“; Infrarot-Wärmebilder bestätigten diese Energieverschwendung.

Um das Mass voll zu machen, entstanden Bedenken, ob die Praxis rechtmässig sei, die Installation adaptiver Antennen als sogenannte Bagatelländerungen im vereinfachten Bewilligungsverfahren quasi durchzuwinken. Bei einigen kantonalen Gerichten wurden Rekurse gegen Bagatellbewilligungen von adaptiven Antennen sistiert; man wartet jetzt die Bundesgerichtsentscheide in anderen gleichartigen Fällen ab.

Deutlich wird jedenfalls: Die Fachbehörden waren in keiner Weise vorbereitet für einen geordneten Vollzug des 5G-Netzausbaus, was die neuartigen adaptiven Antennen betrifft. Dies war auch gar nicht anders zu erwarten. Die Industrie gab zeitlich den Takt vor und prägte die Werbeschlagworte. Die Mehrheitspolitik übernahm beides und stellte die Fachbehörden vor vollendete Tatsachen. Diese mussten und müssen die technischen und rechtlichen Elemente für den Vollzug des 5G-Netzausbaus entwickeln, während derselbe Netzausbau bereits im Gang ist. Dabei stehen die Fachbehörden unter dauerndem Druck der Mobilnetzbetreiberschaft, die in den gemeinsamen Fachkommissionen gewichtigen Einsitz hat und massgeblichen Einfluss auf deren Arbeit nimmt.

Ein Schuss vor den Bug

Angesichts der wirklich schwierigen und unübersichtlichen Lage empfiehlt die Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz (BPUK) den Kantonen, bis Ende September 2021 keine adaptiven Antennen gemäss dem Bagatellverfahren mehr zu genehmigen. Sie stützt sich dabei auf ein Gutachten (3) des Baurechtsinstituts der Universität Freiburg. Gemäss diesem können aufgrund der vom Bund vorgegebenen Rechtsgrundlage adaptive Antennen nicht im Bagatellverfahren genehmigt werden. Über den Sommer will die BPUK die Zeit für „vertiefende Abklärungen“ nutzen, wie sie in ihrer Medienmitteilung (4) vom 6. Juli schreibt.

Demgegenüber stellt sich der Schweizerische Verband der Telekommunikation (asut), die Dachorganisation der Mobilnetzbetreiberinnen, in seiner Medienmitteilung (5) vom 5. Juli hinter die Vollzugsempfehlung des BAFU vom 23.02.2021 Ausdrücklich erwähnt er dabei den „Korrekturfaktor“, dank dem die deklarierte Sendeleistung einer adaptiven Antenne bis zu 10-mal tiefer als die reale maximale Sendeleistung eingesetzt werden darf, womit wiederkehrende kurzzeitige Überschreitungen des 1999 im Sinne der Vorsorge erlassenen Anlagegrenzwertes legitimiert werden sollen – also eine versteckte Grenzwerterhöhung. Auch pocht er auf die Rechtmässigkeit aller bisher geübten Verfahrensweisen. Dazu präsentiert er seinerseits ein Gutachten (6) einer Rechtsanwaltskanzlei.

Ausblick

Die Kontroverse findet also bisher erwartungsgemäss auf der rein juristischen Ebene statt. Trotzdem ist zu hoffen, dass ihr Ergebnis schliesslich doch dem Gesundheitsschutz zugute kommt.

Aus der von Frequencia vertretenen Sicht der betroffenen Bevölkerung, die auch die Sicht der Umweltmedizin und eines umfassender verstandenen Konsumentenschutzes ist, müssten jetzt die konkreten gesundheitlichen Auswirkungen der Strahlung adaptiver Antennen in der Realität zu erfassen gesucht werden. Das gängige Argument, die Trägerfrequenz um 3,5 Gigahertz bewege sich im Bereich der bereits genutzten Trägerfrequenzen, also seien keine anderen Auswirkungen als bisher zu erwarten, greift viel zu kurz. Aufgrund der wesentlich höheren Dynamik des fokussierten und von Reflexionen überlagerten, breitbandigen Signals eines adaptiven Strahlenbündels sind andersartige, unter Umständen wesentlich stärkere Effekte bei betroffenen Personen zu vermuten.

Im Hinblick auf die weitere Zukunft geht es darum, in der Bundesverfassung die Grundlage für den Schutz vor unnötig hoher Strahlung zu verankern. Dazu sei auf die SaferPhone-Volksinitiative verwiesen. Sie will die Weichen für eine zukunftstaugliche Netzstruktur stellen, mit welcher im Freien und in Gebäuden die tiefstmögliche Strahlungsbelastung erreicht werden soll.

  1. Adaptive Antennen. Nachtrag vom 23. Februar 2021 zur Vollzugsempfehlung zur Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV) für Mobilfunk- und WLL-Basisstationen, BUWAL 2002 | Download PDF
  2. Gibt es Hinweise auf vermehrten oxidativen Stress durch elektromagnetische Felder? Eine Zusammenfassung neuerer relevanter Tier- und Zellstudien in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen. | Download PDF
  3. Institut für Schweizerisches und Internationales Baurecht. LES PROCÉDURES CANTONALES APPLICABLES À LA MISE EN PLACE DE LA TECHNOLOGIE 5G DES ANTENNES DE TÉLÉPHONIE MOBILE | Download PDF
  4. Medienmitteilung der Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz (BPUK): Kantone wollen Rechtssicherheit bei Mobilfunk | Download PDF
  5. Medienmitteilung der ASUT: 5G: Nutzung des Korrekturfaktors bei adaptiven Antennen steht nichts entgegen. | Download PDF

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