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Die öffentlich bekannten Elektrosensiblen sind nur die Spitze des Eisbergs

Tag der Elektrosensibilität

In Frankreich ist vor vier Jahren der 16. Juni als „Tag der Elektrosensibilität“ ausgerufen worden. Dort sind die unter der Strahlung leidenden Menschen besonders gut organisiert und vernetzt. Die französischen Medien widmen ihnen mehr Aufmerksamkeit, als es anderswo der Fall ist.

Aus Presse und TV sind von den vielen Menschen, die unter WLAN- und Mobilfunkstrahlung, Haus- und Bahnstrom, Elektrozäunen und weiteren Strahlungsquellen leiden, nur ganz wenige öffentlich bekannt. Von ihren zahllosen Leidensgenossen weiss kaum jemand. Denn die meisten Elektrosensiblen wollen sich nicht als strahlungsempfindlich offenbaren, um in Beruf und Sozialleben nicht massiv benachteiligt zu sein.

4. Tag der Elektrosensibilität am 16. Juni 2021

In Frankreich ist vor vier Jahren der 16. Juni als „Tag der Elektrosensibilität“ ausgerufen worden. Dort  sind die unter der Strahlung leidenden Menschen besonders gut organisiert und vernetzt. Die französischen Medien widmen ihnen mehr Aufmerksamkeit, als es anderswo der Fall ist. Zahlreiche TV-Beiträge, auch solche staatlicher Sender, haben das allgemeine Problembewusstsein gefördert.

Doch die öffentlich bekannt gewordenen Elektrosensiblen sind ein kleiner Bruchteil der insgesamt Betroffenen. Allein in der Schweiz kämpfen sich Hunderttausende unter teils starken Beschwerden durch den zunehmend verstrahlten Alltag. Auch ist ihr Schlaf oft derart gestört, dass es Nacht für Nacht an der notwendigen Regeneration fehlt.

Versuche zahlenmässiger Erfassung der Betroffenen

Aufgrund wissenschaftlicher Studien wird hierzulande stets ein Bevölkerungsanteil von 5-10% Elektrosensiblen genannt. Die Zahlen wurden 2004 und 2008/09 mittels Befragungen erhoben; Schätzungen über die Dunkelziffer fehlen. Dass diese hoch ist, zeigen langjährige Beobachtungen aus der Mess- und Beratungspraxis: Mangels Informationen suchen viele Betroffene die Ursachen ihrer Symptome überall, nur nicht bei der Strahlung. Andere verdrängen eine Ahnung von der Quelle ihres Leidens, weil die Konsequenzen für das eigene Verhalten unbequem wären, oder weil ihre Vorstellung von einem Staat, der die Gesundheit seiner Bürger zuverlässig schützt, erschüttert zu werden droht. Aufgrund dieser Einsichten schien uns schon bisher eine Verdoppelung auf mindestens 10-20% Elektrosensible leichten bis schweren Grades denkbar.

Durch die kürzlich veröffentlichte repräsentative Umfrage von 2020 des Schweizer Umweltpanels an der ETH zum Thema 5G werden diese Vermutungen vollauf bestätigt. Demnach geben gut 10% der Befragten an, elektrosensibel zu sein – eine seit Jahren stabile Zahl. Neu ist aber, dass weitere 31% unsicher waren, ob sie ebenfalls betroffen sind. Ausserdem fühlten sich sogar 60% aller Befragten durch Regierung und Behörden vor Strahlung zu schwach geschützt. Offenbar ist das Bewusstsein von den realen Strahlungsrisiken trotz behördlicher Versicherung der Unschädlichkeit gestiegen.

Viele werden indessen weiterhin sich als Nichtbetroffene empfinden und um das Thema nicht kümmern. Und doch hat Elektrizität Teil an den natürlichen Vorgängen im menschlichen Körper. So werden die organischen Funktionen, primär diejenigen des Nervensystems, zunehmend gestört durch die gehäuften technisch-elektromagnetischen Einwirkungen. Potentiell sind wir davon alle betroffen. Individuell unterschiedlich ist nur, ob die Folgen dieser Einwirkungen manifest werden.

Zum Problembewusstsein in der Bevölkerung

Die Beziehung der Menschen zum Strahlungsproblem ist komplex – viel komplexer, als sie öffentlich gesehen wird. Pauschale Urteile wie „Jeder hat ein Handy, keiner will die Antennen“ werden der Bevölkerungsmehrheit in keiner Weise gerecht. Die Bereitschaft zur Eigenverantwortung ist grösser als man glaubt. Doch damit diese Wirkung zeigen kann, muss endlich wahrheitsgemäss aufgeklärt werden über die konkreten Strahlungsauswirkungen von Handys und Antennen, WLAN und vielem mehr. Nur wer richtig informiert ist, kann verantwortlich handeln!

Wer will es den heute so vielfältig herausgeforderten Menschen verübeln, dass sie erst dann mit der Suche nach realen Informationen beginnen, wenn in der Nachbarschaft eine neue Antenne droht? Oder wenn sie nicht mehr schlafen können wegen einer rund um die Uhr strahlenden WLAN-Internetbox?

Viele glauben den offiziellen Beteuerungen einer angeblichen Harmlosigkeit der Strahlung indes nur allzu gern, denn ihre eigene, ausgiebige Nutzung der drahtlosen Kommunikation aller Art wollen sie keinesfalls einschränken. „Wenn das schädlich wäre, dürfte es doch nicht verkauft werden“, lautet einer der am häufigsten gehörten Kommentare. So wollen sie auch nicht glauben, dass sie mit ihrem eigenen WLAN und Smartphone anderen Menschen schaden können.

Zur Situation in der Medizin

Medizinisch gesehen ist die Lage bezüglich elektromagnetischer Strahlung widersprüchlich. Ausgerechnet Spitäler, Kliniken, Heime und Arztpraxen sind elektromagnetisch oft stark belastet. Viele Ärzte und vor allem auch die Psychiatrie wollen nichts wissen von Mobilfunk als (Mit-)Verursacher von Funktionsstörungen und Krankheiten. Noch immer vertreten sie die Nocebo-These, das Gegenstück zum Placebo. Ein Beispiel für den Noceboeffekt: Sieht man durchs Fenster eine Mobilfunkantenne und schläft deshalb schlecht, so angeblich nur deshalb, weil man sich deren Schädlichkeit einredet. Vereinzelte Studien wollen gefunden haben, dass bei behaupteten Symptomen infolge Elektrosmog ein solcher Noceboeffekt vorliege.

Im Gegensatz dazu anerkennen immer mehr medizinisch Tätige, vor allem solche in umweltärztlichen Kreisen, dass physiologische Strahlungsauswirkungen existieren. Aufgrund ihrer Praxiserfahrungen wissen sie, dass die erste, grundlegende Massnahme die Beseitigung der elektromagnetischen Belastung der Patienten ist. Seit 2002 erscheinen weltweit immer wieder Ärzte- und Wissenschaftlerappelle mit wohlbegründeten Warnungen vor elektromagnetischer Strahlung. Seit kurzem verfügt die Medizin ausserdem über die EUROPAEM-Leitlinie 2016 zur Prävention, Diagnostik und Therapie EMF-bedingter Beschwerden und Krankheiten. Fachpersonen, die Messungen und Beratungen bei Betroffenen machen, müssen in jedem Einzelfall den konkreten Zusammenhang zwischen Strahlungsquellen und Symptomen zu verifizieren suchen. Darauf basiert der Erfolg ihrer Arbeit.

Zu den Erfahrungen aus Messung und Beratung

In der Messung und Beratung tätige Fachpersonen profitieren für ihre Aufklärungsarbeit und ihre Unterstützung der Betroffenen von einer mehr als zwei Jahrzehnte lang angesammelten Praxis­erfahrung. Zu dieser gehören laufend auf ihre Gültigkeit geprüfte Richtwerte für elektromagnetische Strahlungen und Felder. Ein Beispiel: Der Richtwert für Mobilfunkantennenstrahlung, der am Schlafplatz empfindlicher oder gesundheitlich vorbelasteter Personen nicht überschritten werden sollte, beträgt ein Tausendstel des für eine Mobilfunksendeanlage geltenden Grenzwertes.

Diese gesamte Erfahrung wurde bisher vom offiziellen Wissenschaftsbetrieb und somit auch von Politik und Medien nicht zur Kenntnis genommen – paradoxerweise, denn ohne den Anstoss durch negative Praxiserfahrungen gäbe es ja gar keine Risikoforschung. Andererseits ist die Tatsache dieser Erkenntnisverweigerung nachvollziehbar, denn nähme man das Erfahrungswissen wirklich ernst, so müsste man in unserer zunehmend strom- und funkabhängigen Zivilisation äusserst einschneidende Konsequenzen ziehen. So erklärt sich, dass man das Pochen auf die Erfahrung als Panikmache verleumdet, besorgniserregende Ergebnisse der Risikoforschung ignoriert und die elektrosensiblen Menschen auf ein vermeintlich kleines Häuflein reduziert, auf das man keine Rücksicht nehmen könne, weil die Entwicklung unumkehrbar und nicht zu stoppen sei.

Ein Beispiel, wie Firmen in ihrem Betrieb den Elektrosmog reduzierten

Mit grossem Erfolg wurde die gesundheitsfördernde Massnahme einer Elektrosmog-Reduktion für rund 750 Büroarbeitsplätze zweier Firmen der deutschen Allianz-Gruppe durchgeführt. Die Massnahme wirkte allgemein motivationsfördernd und hatte zur Folge, dass der Krankenstand von 5% auf 3% sank.

„Weniger Elektrosmog für 750 Mitarbeiter. Vorangehen, neue Wege gehen“ – so ist ein Artikel in der Fachzeitschrift ”Wohnung + Gesundheit” Nr. 148 (2013) überschrieben.

Der damalige Vorsitzende der beiden Firmen erklärte im Interview, die Massnahme habe rund 150.000 € oder ca. 175 € pro Arbeitsplatz gekostet.

„Das ist ein Klacks, wenn man sieht, dass sich querbeet so viel positive Stimmung breit gemacht hat“, sagte er.

Mit wenig Aufwand konnte damit auch einer Mitarbeiterin geholfen werden, die zuvor erfolglos von Arzt zu Arzt gerannt und jetzt auf einen Schlag symptomfrei war. Gewiss sei es schwer, den Erfolg gerade dieser Massnahme isoliert zahlenmässig zu bewerten. Doch das gelte auch für viele anderen Massnahmen im Unternehmensalltag, z.B. im Marketingbereich, von denen jeder wisse, dass sie eben gemacht werden müssen: „Wenn man qualitative Dinge wie Begeisterung der Mitarbeiter, zufriedene, strahlende Gesichter, Reduzierung der Krankheitstage und höhere Akzeptanz der Geschäftsführung sieht, dann muss man gar nicht darüber nachdenken, sondern man muss es einfach tun.“

Hier sei die Erfahrung vieler messtechnisch arbeitender Fachleute angefügt, dass ein grosser Teil der am Arbeitsplatz von Elektrosmog gesundheitlich Betroffenen ihr Problem verheimlichen, dies aus Angst vor sozialer Ausgrenzung, Schwierigkeiten mit Vorgesetzten oder gar einer Kündigung. Dadurch kommt der Umfang des Problems den Firmenleitungen nicht zum Bewusstsein.

Strahlungsreduktion für alle – politischer Handlungsbedarf

Wer durch seine Tätigkeit im Laufe vieler Jahre Hunderten, ja Tausenden elektrosensibler Menschen begegnet ist, weiss, dass die berichteten Zusammenhänge wahr sind. Die Zahl der Menschen, die auf der Suche nach einer gesundheitlich akzeptablen Wohnstätte während Jahren oder gar ein halbes Leben lang im Land umherziehen, übersteigt alle Vorstellungen bei weitem. Es ist nicht übertrieben, von einer nationalen Binnenmigrationsbewegung der Strahlenflüchtlinge zu sprechen. Warum man öffentlich kaum etwas davon weiss, dürfte aus den bisherigen Ausführungen klar geworden sein. Dazu kommen die Hunderttausenden, die im normalen Alltag mit der strahlungsbedingten Beeinträchtigung ihrer Befindlichkeit zurechtzukommen versuchen, ohne viel Aufhebens davon zu machen.

Es ist vollkommen klar: Wir brauchen eine allgemeine, massive Reduktion der Strahlungsintensitäten, denen wir im Alltag ausgesetzt sind. Diese ist vor allem auch volkswirtschaftlich begründet. Denn die Elektrosmog-Belastung ist eine wesentliche Ursache von sinkender Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz, von häufigeren Krankheitsabsenzen sowie von steigenden Kosten im Gesundheits- und Sozialversicherungswesen. Aber noch fehlt es weitherum an dieser Einsicht. Warum wird in Presseartikeln über Schlafstörungen oder über das Burnout-Syndrom der oft mitverantwortliche Elektrosmog nie erwähnt? Ist es journalistisches Desinteresse oder Unkenntnis? Oder kann nicht sein, was nicht sein darf?

Warum die SaferPhone-Initiative notwendig ist

Das Mobilfunknetz muss zukunftsgerechter gestaltet werden. Der Zeitpunkt für eine grundlegende Weichenstellung beim Netzausbau ist gekommen. Bis heute wird der Umgang mit der nicht-ionisierenden Strahlung vom Bundesrat allein geregelt. Seine Verordnung über den Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung (NISV) vom 23. Dezember 1999 basiert auf einem Wissensstand und einem Hoheitsverständnis, die der Realität beziehungsweise dem Bedarf an Transparenz noch weniger entsprechen, als es bei ihrer Inkraftsetzung schon der Fall war.

In der heutigen Netzstruktur werden die Innenräume von aussen her über Mobilfunkantennen versorgt und durchstrahlt. Dabei finden 80% der sogenannt mobilen Kommunikation gar nicht mobil, sondern stationär aus dem Innern statt – zuhause, an der Arbeit oder in der Schule. Daher strahlen die Antennen so stark.

Wird das Mobilfunknetz nach diesem drei Jahrzehnte alten Konzept weiter ausgebaut, so wächst unsere Strahlenbelastung stetig weiter. Das können wir nicht zulassen. Es gilt deshalb, den Netzausbau zukunftstauglich umzugestalten. Durch die SaferPhone-Volksinitiative soll der Schutz der Gesundheit vor nicht-ionisierender Strahlung, das heisst vor Elektrosmog und insbesondere vor Mobilfunkstrahlung, in der Bundesverfassung verankert und dank einer strahlungsarmen Infrastruktur garantiert werden.

Ziel ist es, die allgemeine Strahlenbelastung für Mensch, Tier und Umwelt erheblich zu senken. So wenig als irgend möglich sollen unser Lebensraum durchstrahlt und unsere Gesundheit geschwächt werden. Die Neugestaltung eines einheitlichen Mobilfunknetzes soll sich nach den Grundsätzen der kürzestmöglichen Funkstrecke und der tiefstmöglichen Strahlungsbelastung richten.

Autor: Peter Schlegel. Veröffentlichung: Dieser Beitrag ist die Umarbeitung und Aktualisierung eines 2018 unter www.buergerwelle-schweiz.org veröffentlichten Artikels. Aktualisiert am 24.06.2021

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